Autor: Alexander Schade
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In einer Arbeitswelt, die von ständiger Veränderung und Unsicherheit geprägt ist, gewinnt das Konzept der geteilten Führung (Shared Leadership) zunehmend an Bedeutung. Stellen Sie sich vor, Führungsverantwortung wird nicht nur auf eine Person konzentriert, sondern auf mehrere Teammitglieder verteilt. Besonders in wissensintensiven Umgebungen entfaltet dieser Ansatz sein volles Potenzial, indem er die kollektive Expertise des Teams nutzt (Abid, 2024). Die Forschung zeigt, dass diese Form der Führung nicht nur die Teamleistung steigert, sondern auch das psychologische Wohlbefinden der einzelnen Mitglieder stärken kann (Han et al., 2021; Klasmeier & Lehman-Willenbrock, 2023). Lassen Sie uns einen Blick in die Welt der geteilten Führung werfen und den Wert dieser Führungsphilosophie entdecken!
Inhalt
- Theoretische Grundlagen und Definition
- Herausforderungen geteilter Führung
- Modelle geteilter Führung
- Besonderheiten geteilter Führung im öffentlichen Dienst
- Praktische Implikationen bei der Umsetzung geteilter Führung
- Fazit
Theoretische Grundlagen und Definition
Im Gegensatz zu traditionellen „Great Man“-Führungsansätzen, die individuelle Führungsqualitäten in den Mittelpunkt stellen, beschreibt geteilte Führung ein emergentes Teamphänomen, bei dem Führungsrollen und Einfluss unter den Teammitgliedern verteilt sind (Zhu, Liao, Yam & Johnson, 2018). Diese moderne Führungsform entwickelte sich als
Antwort auf die zunehmende Komplexität in Organisationen und die Notwendigkeit, kollektive Expertise effektiver zu nutzen.
Historische Entwicklung
Die Entwicklung des Konzepts der geteilten Führung lässt sich als Antwort auf die zunehmende Komplexität organisationaler Herausforderungen verstehen. Während traditionelle Führungstheorien sich hauptsächlich auf vertikale Führungsstrukturen konzentrierten, entwickelte sich geteilte Führung als alternatives Modell, das die kollektive Führungskompetenz in den Vordergrund stellt (Li, 2023).
Diese Evolution spiegelt den Wandel von hierarchischen zu mehr partizipativen Organisationsformen wider. Erste Untersuchungen zu “peer leadership” führten Bowers und Seashore bereits 1966 durch. „Peer leadership“ kann dabei als eine Abwandlung geteilter Führung verstanden werden, da die Führung nicht nur von Vorgesetzten, sondern auch von den Beschäftigten ausgeübt werden kann.
Theoretischer Rahmen
Der theoretische Rahmen der geteilten Führung basiert auf mehreren, aus der Literatur
abgeleiteten Kernprinzipien (Friedrich et al., 2009; Li, 2023; Werther, 2014; Zhu et al., 2018):
- Verteilung von Führungsverantwortung,
- Emergenz von Führungsverhalten,
- wechselseitige Einflußnahme,
- kollektive Entscheidungsfindung.
Diese erste theoretische Einordnung verdeutlicht, dass geteilte Führung nicht als isoliertes Konzept zu verstehen ist, sondern als integrativer Ansatz, der verschiedene Führungsperspektiven vereint (Zhu et al., 2018). Besonders im Kontext virtueller Zusammenarbeit gewinnt das Konzept zusätzlich an Bedeutung (Mayer, Mütze-Niewöhner & Nitsch, 2024).
Konzeptuelle Abgrenzung
Geteilte Führung unterscheidet sich von anderen Führungskonzepten durch ihre dynamische und kollaborative Natur. Das Konzept geht über bloße Delegation hinaus und etabliert einen kontinuierlichen Prozess des gegenseitigen Einflusses zwischen Teammitgliedern (Zhu et al., 2018).
Ausgestaltung
Nach Sander und Peyer (2017) manifestiert sich geteilte Führung in der Praxis häufig in
Form von Jobsharing-Modellen. Diese ermöglichen nicht nur eine bessere Work-Life-
Balance für die mit Führungsaufgaben befassten Personen, sondern auch eine effektivere Nutzung komplementärer Kompetenzen.
Die Implementierung erfordert dabei sorgfältige Planung und Berücksichtigung spezifischer Rahmenbedingungen, insbesondere zu Beginn der Zusammenarbeit (Sander & Peyer, 2017). Die dynamische Natur geteilter Führung wird besonders deutlich in der zeitlichen Entwicklung von Führungsbeziehungen und der Anpassung an veränderte Teamanforderungen (Klasmeier & Lehmann-Willenbrock, 2023).
Kulturelle Unterschiede, wie abweichende Wertevorstellungen und Verhaltensweisen,
müssen bei der Implementierung geteilter Führung berücksichtigt werden, um entsprechende Barrieren zu überwinden und Akzeptanz zu fördern. Dies gilt sowohl für die theoretische Konzeption als auch für die praktische Umsetzungsebene und ist insbesondere für international tätige Unternehmen bzw. Organisationen von Relevanz.
Herausforderungen geteilter Führung
Im Folgenden werden die Hauptherausforderungen geteilter Führung aufgeführt, die im Rahmen von qualitativen Interviews mit 35 Beschäftigten verschiedener Organisationen identifiziert wurden (Edelmann, Boen, Stouten, Broek, & Fransen, 2023):
- Potenzielle Konflikte bei der Rollenverteilung,
- erhöhter Koordinationsaufwand,
- Notwendigkeit klarer Auswahlmethoden für Führungsrollen,
- mögliche Eifersucht zwischen formellen und informellen Führungskräften.
Die Implementierung geteilter Führung erfordert spezifische Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, die maßgeblich über den Erfolg dieses Führungsansatzes entscheiden.
So gilt es beispielsweise, das geeignete Modell geteilter Führung zu bestimmen. Diese Wahl hängt stark von organisationalen Kontextfaktoren ab, wobei besonders in virtuellen Umgebungen die Bedeutung geteilter aufgabenorientierter Führung hervorzuheben ist (Mayer et al., 2023). In einem weiteren Kapitel werden verschiedene Modelle geteilter Führung vorgestellt.
Organisationale und kulturelle Voraussetzungen
Um geteilte Führung zu fördern, ist es wichtig, in der Organisation Zusammenarbeit, Interaktion, Informationsaustausch sowie das Verständnis von Netzwerken und Rollen wertzuschätzen. Damit muss einhergehen, dass starre Hierarchien aufgeweicht werden. Die Organisation sollte verstehen, dass eine Führungskraft nicht immer die höchste Autorität innerhalb eines Teams innehaben muss (Friedrich et al., 2009). Dies impliziert eine Kultur, die flexible Führungsstrukturen unterstützt und die Möglichkeit bietet, dass verschiedene Teammitglieder je nach Situation Führungsrollen übernehmen.
Strukturelle Aspekte wie starre Hierarchien und unveränderliche Arbeitsabläufe können
die Entstehung von geteilter Führung negativ beeinflussen. Hingegen könnten Arbeitsabläufe, die funktionsübergreifende Teams und eine hohe Interdependenz der Mitglieder fördern, die Entstehung von geteilter Führung begünstigen. Die Struktur des Netzwerks innerhalb eines Teams beeinflusst den Informationsfluss und damit die Möglichkeit, geteilte Führung zu etablieren. Dezentrale Strukturen, die den Informationsfluss erleichtern, sind förderlich für die Teamleistung und die
Entstehung von geteilter Führung (Friedrich et al., 2009).
Um die richtigen Voraussetzungen für geteilte Führung zu schaffen, empfiehlt es sich daher, einen Schwerpunkt auf das Schaffen psychologischer Sicherheit (Edmondson, 1999) zu legen. Psychologische Sicherheit wird als das Vertrauen beschrieben, dass man in
einem Team oder einer Organisation keine negativen Konsequenzen für das Äußern von Ideen oder das Eingestehen von Fehlern befürchten muss, was sich auch positiv auf die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme auswirkt (Newman, Donohue & Eva, 2017).
Digitale Infrastruktur
Besonders im Kontext virtueller Zusammenarbeit zeigt sich die Bedeutung einer robusten digitalen Infrastruktur. Materielle Ausstattung und technologische Rahmenbedingungen bilden das Fundament für erfolgreiche geteilte Führung in modernen Arbeitsumgebungen (Kneip, Graml & Voigt, 2022; Iannotta, Meret & Marchetti, 2020).
In virtuellen Teamumgebungen erfordert die Implementierung geteilter Führung besondere Aufmerksamkeit. Die Studie von Mayer et al. (2023) legt nahe, dass die Effektivität stark von der digitalen Infrastruktur und den gewählten Kommunikationstools abhängt. Daher empfiehlt die Forschungsgruppe um Mayer (2023) die Durchführung regelmäßiger virtueller Team-Building-Aktivitäten, um das Vertrauen unter den Teammitgliedern zu stärken. Auch virtuelle Kaffeepausen oder gemeinsame Online-Spiele können dazu beitragen, persönliche Beziehungen aufzubauen und so das Vertrauen im Team zu fördern.
Darüber hinaus raten die Forscher*innen dazu, klare Teamziele und gemeinsame Werte
zu definieren, um den Zusammenhalt im Team zu stärken. Ein gemeinsames Team-
Manifest, das genau diese Aspekte festhält, oder regelmäßige Reflexionsrunden können
ebenfalls positiv beitragen. Weiterhin wird empfohlen, regelmäßige virtuelle soziale Aktivitäten zu organisieren, um das Gefühl der Isolation bei Beschäftigten im Homeoffice zu verringern (zum Beispiel durch virtuelle Happy Hours).
Besonders bei hybriden Arbeitsmodellen müssen Organisationen sicherstellen, dass
sowohl persönliche als auch virtuelle Interaktionen die geteilte Führung optimal unterstützen (Kneip, Graml & Voigt, 2022) und sich gegebenenfalls ergänzen.
Diversität und Teamzusammensetzung
Eine Studie von Sharma und Mehta (2023) legt nahe, dass Diversität innerhalb eines Teams die Beziehung zwischen psychologischer Sicherheit und geteilter Führung negativ moderiert. Das bedeutet, dass in Teams mit hoher Diversität der positive Einfluss der psychologischen Sicherheit auf die geteilte Führung abgeschwächt wird. Dies kann auf
Kommunikationsprobleme und Konflikte zurückgeführt werden, die durch unterschiedliche Hintergründe und Perspektiven der Teammitglieder entstehen.
Um die positiven Effekte der Diversität zu maximieren und die negativen Auswirkungen zu minimieren, geben die Autor*innen folgende Empfehlungen:
- Eine Kultur der offenen und freien Kommunikation sollte gefördert werden. Regelmäßige Meetings und Feedback-Sitzungen können dazu beitragen, dass alle Teammitglieder ihre Meinungen und Ideen äußern können.
- Teammitglieder sollten in den Bereichen Kommunikation, Konfliktmanagement und Zusammenarbeit geschult werden. Dies hilft ihnen, besser mit den Herausforderungen umzugehen, die durch Diversität entstehen können.
- Führungskräfte sollten darauf achten, eine Umgebung zu schaffen, in der sich alle Teammitglieder sicher fühlen, ihre Meinungen zu äußern und Risiken einzugehen, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben.
- Es sollte ein Umfeld geschaffen werden, in dem Führung nicht nur von einer Person ausgeübt wird, sondern von allen Teammitgliedern geteilt wird. Dies kann durch die Verteilung von Verantwortlichkeiten und die Förderung von Teamarbeit erreicht werden.
Kulturelle Aspekte spielen eine bedeutende Rolle bei der Implementierung geteilter Führung und nehmen insbesondere Einfluss auf die Akzeptanz und Wirksamkeit geteilter Führung. Dies lässt sich beispielsweise anhand von Untersuchungen zum chinesischen
Kulturraum veranschaulichen, die auf spezifische Wahrnehmungsmuster und Einstellungen gegenüber geteilter Führung hinweisen (Wolf, 2023): Chinesische Mitarbeiter*innen haben demzufolge eine ambivalente Haltung gegenüber geteilter Führung.
Einerseits erkennen sie potenzielle Vorteile wie erhöhte Zusammenarbeit und geteilte Verantwortung an. Andererseits bestehen Bedenken hinsichtlich der praktischen Umsetzung und der kulturellen Anpassung, da traditionelle hierarchische Strukturen in vielen chinesischen Unternehmen tief verwurzelt sind. Die chinesische Kultur betont Gruppenharmonie, Hierarchie und Gesichtswahrung. Diese Werte beeinflussen die Wahrnehmung von geteilter Führung erheblich. Beispielsweise könnte die Notwendigkeit, ehrliches negatives Feedback auf derselben Hierarchieebene zu geben, als Herausforderung empfunden werden, da dies im Widerspruch zur Gesichtswahrung steht.
Während der Kollektivismus in der chinesischen Kultur Gruppenentscheidungen und Zusammenarbeit fördern könnte, könnte er auch die individuelle Verantwortungsübernahme und Unabhängigkeit einschränken, die für geteilte Führung erforderlich sind. Die traditionelle Betonung auf hierarchischen Systemen steht im Gegensatz zu modernen Ansätzen der geteilten Führung, die eine horizontale Verteilung der Führungsaufgaben und -verantwortlichkeiten vorschlagen. Im Vergleich zu westlichen Kulturen, die tendenziell individualistischer sind und flachere Hierarchien bevorzugen, zeigt sich in China eine stärkere Betonung der Hierarchie und der kollektiven Entscheidungsfindung (Wolf, 2023).
Voraussetzungen und Ergebnisse geteilter Führung
Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die zu berücksichtigenden Voraussetzungen (Antezedenzien) sowie die zu erwartenden Konsequenzen bei der Implementierung von geteilter Führung.

Modelle geteilter Führung
Die praktische Umsetzung geteilter Führung kann in verschiedenen Formen erfolgen, wobei empirische Studien unterschiedliche Implementierungsvarianten und deren spezifische Auswirkungen aufzeigen (Edelmann et al., 2023).
Rotierendes Modell
Bei diesem Ansatz wechselt die Führungsrolle systematisch zwischen Teammitgliedern,
basierend auf spezifischen Projektphasen oder Kompetenzbereichen (Edelmann et al.,
2023). Qualitative Forschungsergebnisse zeigen, dass diese Form besonders in funktionsübergreifenden Teams effektiv ist, die aus Mitgliedern verschiedener Abteilungen oder Fachbereichen innerhalb einer Organisation bestehen. Diese Teams werden gebildet, um spezifische Projekte oder Aufgaben zu bearbeiten, was wiederum eine Vielzahl von Fähigkeiten und Perspektiven erfordert.
Der Vorteil des rotierenden Modells liegt in der Unabhängigkeit und Kontinuität, denn die Teams werden unabhängiger von der formalen Führungskraft, was sicherstellt, dass die Führung auch bei Abwesenheit der formalen Führungskraft fortgesetzt wird.
Potenzielle Herausforderungen bestehen darin, den Überblick über die Teamdynamik zu behalten, besonders wenn es an Kommunikation untereinander mangelt. Darüber hinaus ist es wichtig, Rollenklarheit zu schaffen und Verantwortungsbereiche eindeutig zu definieren, damit es nicht zu einer Verantwortungsdiffusion – also dem Fehlen der Verantwortungsübernahme aufgrund unklarer Verantwortungsbereiche – kommt (Edelmann et al., 2023).
Emergentes Modell
Emergente Führungsstrukturen beziehen sich auf Führungsprozesse, die nicht durch
formale Hierarchien oder vorgegebene Rollen definiert sind, sondern sich dynamisch und
situativ entwickeln. In solchen Strukturen übernehmen Teammitglieder Führungsrollen
basierend auf den Anforderungen der Situation, ihren Fähigkeiten und dem Kontext, anstatt, dass Führung ausschließlich von formellen Führungskräften ausgeübt wird.
Dieses Modell fördert insbesondere die teamübergreifende Zielerreichung, wie Bienefeld und Grote (2014) im Luftfahrtkontext zeigen. Hier ermöglicht das Modell eine flexible Anpassung an sich ändernde Bedingungen. Teammitglieder können Führungsrollen übernehmen, wenn die Situation dies erfordert, was zu einer schnelleren und effektiveren
Problemlösung führt. In der Studie von Bienefeld und Grote (2014) zeigten sowohl formelle Führungskräfte als auch Teammitglieder signifikant mehr Führungsverhalten, was zur Zielerreichung beitrug.
Die Herausforderungen des Modells zeigen sich in traditionellen hierarchischen Strukturen. Hier kann es Widerstand gegen die Einführung geteilter Führungsmodelle geben. Formelle Führungskräfte und Teammitglieder müssen möglicherweise ihre Einstellungen und Verhaltensweisen ändern. In der Luftfahrt, wo die Führung traditionell bei den Kapitän*innen liegt, könnte ein Wechsel zu geteilter Führung auf Widerstand stoßen – abgesehen von etwaigen Sicherheitsrisiken, die durch geteilte Führung entstehen könnten.
Paralleles Modell
Im Kontext virtueller Teams empfiehlt sich das parallele Führungsmodell, bei dem sich mehrere Personen dauerhaft die Führungsverantwortung teilen (Edelmann et al., 2023). Diese Variante zeigt positive Auswirkungen auf die subjektiv wahrgenommene Produktivität und die Zufriedenheit mit der Führung, insbesondere wenn aufgabenorientierte Verhaltensweisen, beispielsweise von mehreren Teammitgliedern, übernommen werden. Zu aufgabenorientierten Verhaltensweisen zählt beispielsweise das Planen und Koordinieren von Aufgaben, das Festlegen von Zielen und Deadlines oder das Überwachen des Fortschritts (Mayer, Sivatheerthan, Mütze-Niewöhner & Nitsch, 2023).
Eine Herausforderung des parallelen Modells zeigt sich bei der Ausführung von beziehungsorientiertem Führungsverhalten. Diese Verhaltensweisen beinhalten unter anderem das Unterstützen und Ermutigen in stressigen Situationen, das Loben von effektiver Leistung, das Geben von hilfreichem Feedback und das Fördern von persönlichem Wachstum. Die Aufteilung beziehungsorientierter Führungsverhaltensweisen auf mehrere Personen haben einen signifikant negativen Effekt auf die subjektiv wahrgenommene Produktivität und Zufriedenheit mit der Führung. Das bedeutet, dass Teammitglieder ihre Arbeit als weniger produktiv empfinden und weniger zufrieden mit der Führung sind, wenn diese Führungsaufgaben von mehreren Teammitgliedern übernommen werden. Somit ist in der Praxis bei der dauerhaften Implementierung geteilter Führung unbedingt darauf zu achten, dass es formal geregelte Verantwortlichkeiten für die Übernahme beziehungsorientierter Führung gibt (Edelmann et al., 2023).
Besonderheiten geteilter Führung im öffentlichen Dienst
Ein Leitfaden des Berliner Harriet Taylor Mill-Instituts für Ökonomie und Geschlechterforschung (2024) erläutert flexible Führungsmodelle in den obersten deutschen Bundesbehörden. Einige wichtige Erkenntnisse aus diesem Leitfaden werden in diesem Kapitel vorgestellt und diskutiert. In den obersten Bundesbehörden werden, neben dem alleinigen Führen in Vollzeit, sowohl das alleinige Führen in Teilzeit als auch das Führen im Tandem (paralleles Modell) praktiziert. Erhebungsergebnisse zeigen, dass in den meisten obersten Bundesbehörden das Modell des alleinigen Führens in Teilzeit ähnlich definiert ist, während es für das geteilte Führen im Tandem verschiedene Modelle gibt. Diese reichen von Tandems bis hin zu Teamstrukturen, bei denen mehr als zwei Personen eine Führungsposition in Teilzeit ausüben. Beide Formen sind dem parallelen Modell zuzuordnen.
Der Leitfaden legt nahe, dass eine erfolgreiche Umsetzung von geteilten Führungsmodellen klare Rahmenbedingungen und sorgfältige Planung erfordert. Dazu gehören insbesondere die folgenden Elemente:
- Das Erwartungsmanagement, was eine klare Kommunikation von Erwartungen zwischen Führungskräften, Vorgesetzten und Mitarbeitenden umfasst, einschließlich Erreichbarkeiten, Abwesenheiten und Arbeitsaufteilung.
- Ebenso ist die Abstimmung der Arbeitsabläufe notwendig, wobei teilzeitfreundliche Prozesse, Schutz gegen Arbeitsverdichtung, teilzeittaugliche Fristen, Überwachung der Arbeitszeiten und Nutzung von Stellvertretungen berücksichtigt werden sollten.
- Weiterbildung und Netzwerke sind wichtig, um Mentoring und Coaching zu fördern und so Erfahrungsaustausch sowie kontinuierliche Unterstützung zu gewährleisten.
- Um eine nachhaltige Umsetzung zu sichern, bedarf es zentraler Anlaufstellen für geteilte Themen und geschulter Ansprechpersonen. Dies legt erneut die Bedeutung von vermehrter und zielführender Kommunikation nahe, die ebenfalls Bestandteil der Weiterbildungen sein kann.
Geteilte Führung bringt viele Vorteile für den öffentlichen Dienst. Ein wichtiger Vorteil ist
der Wissenstransfer. Tandemführung fördert den Austausch und die Reflexion, was zu besseren Arbeitsergebnissen führen kann. Erfahrene Beschäftigte geben ihr Wissen an neue Kolleginnen und Kollegen weiter.
In Kombination mit einem Teilzeitmodell zeigt sich ein weiterer Vorteil, nämlich die Verbesserung der Work-Life-Balance. Teilzeitführung erleichtert die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und steigert das Wohlbefinden. Weniger Arbeitszeit ermöglicht längere Erholungsphasen und eine bessere Balance zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit. Außerdem steigern Koordination und Abstimmung von Führungskräften in Teilzeit die Produktivität und verbessern die Arbeitsabläufe (Harriet Taylor Mill-Institut für Ökonomie und Geschlechterforschung, 2024).
Die Herausforderungen für die Umsetzung geteilter Führung im öffentlichen Dienst sind
vielfältig. Eine bedeutende Herausforderung ist, ähnlich wie bereits in der Studie von Bienefeld und Grote (2014) aufgeführt, die Akzeptanz und Unterstützung; eine erfolgreiche Umsetzung setzt Rückhalt sowohl von der Führungsebene als auch von den Beschäftigten voraus (Harriet Taylor Mill-Institut für Ökonomie und Geschlechterforschung, 2024).
Schließlich können Informationslücken entstehen: Unterschiedliche Wahrnehmungen
der Erreichbarkeit und mangelhafte Kommunikation können Widerstände hervorrufen. In
Kombination mit Teilzeit kann die Arbeitsverdichtung eine wichtige Herausforderung sein,
da Teilzeitführung oft als unattraktiv angesehen wird, auch wegen der höheren Arbeitsbelastung. Eine einfache Aufgabenverteilung reduziert diese Belastung nicht wirksam (Harriet Taylor Mill-Institut für Ökonomie und Geschlechterforschung, 2024).
Wichtig ist also, dass die richtigen Voraussetzungen frühzeitig geschaffen werden, damit
während der Implementierung keine vermeidbaren Herausforderungen auftreten. Der
Nährboden muss geschaffen sein. Dazu ist eine kontinuierliche, offene Kommunikation
seitens der Führung unabdingbar. Diese sollte die notwendige Transparenz schaffen, damit sich alle Teammitglieder involviert fühlen und die Möglichkeit besteht, etwaige Bedenken zu äußern. So können alle am Prozess partizipieren und ihren Beitrag zum Erfolg
leisten.
Praktische Implikationen bei der Umsetzung geteilter Führung
Die Implementierung geteilter Führung erfordert sorgfältige Planung und spezifische
Maßnahmen, um den Erfolg in der Praxis zu gewährleisten. Es folgen Empfehlungen mit
Bezug auf die organisationale Entwicklung, die Kompetenzentwicklung, das Wissensmanagement, teambasierte Strukturen sowie auf Innovation und Kreativität.

Organisationale Entwicklung
Die Umsetzung geteilter Führung erfordert eine systematische Anpassung der Organisationsstrukturen. Besonders in virtuellen Teams ist eine klare Definition von Verantwortlichkeiten und Kommunikationswegen entscheidend (Ali & Yushi, 2024) Die Corona-Pandemie hat dabei als Katalysator für neue Führungsmodelle gewirkt und zusätzliche Chancen für die Implementierung geteilter Führung eröffnet (Kneip et al., 2022). Dabei zeigt sich, dass die Integration digitaler Werkzeuge und die Entwicklung hybrider Arbeitsmodelle neue Möglichkeiten für geteilte Führung schaffen.
Die Anpassung der Organisationsstruktur muss systematisch erfolgen und sollte durch
Change-Management-Prozesse begleitet werden, die alle Stakeholder einbeziehen.
Traditionelle interne, aber auch externe Kommunikationsmittel (z.B. Unternehmenspublikationen) können um interaktive Elemente wie Online-Plattformen, Podcasts und Videos erweitert werden. Dies hilft, Best-Practice-Beispiele und Vorbilder sichtbar zu machen und die Akzeptanz zu fördern (Bienefeld & Grote, 2014).
Neben den Kommunikationsmitteln ist auch eine Kommunikationsstrategie notwendig, die Erwartungsmanagement und Evaluationsmethoden berücksichtigt. Für das Erwartungsmanagement gilt es, klare, wertschätzende Kommunikation zu ermöglichen
sowie die Erwartungen zwischen Führungskräften, Vorgesetzten und Beschäftigten abzustimmen. Dies umfasst Absprachen über Erreichbarkeiten, Abwesenheiten und die
Aufteilung von Arbeitsumfang und -inhalt.
Die Evaluationsmethoden sollten eine kontinuierliche und regelmäßige Überprüfung so-
wie Feedbackrunden zur Beobachtung und Anpassung der Teilzeitführung umfassen, um
frühzeitig Bedenken zu erkennen und zu bearbeiten.
Empfehlungen in Kurzform:
Integration interaktiver Kommunikationsmittel wie Online-Plattformen, Podcasts und Videos, um Best-Practice-Beispiele sichtbar zu machen und die Akzeptanz zu fördern.
Entwicklung einer umfassenden Kommunikationsstrategie, die
sowohl das Erwartungsmanagement als auch Evaluationsmethoden
umfasst. Klare Absprachen über Erreichbarkeiten, Arbeitsaufteilungen und regelmäßige Feedbackrunden sollten fest etabliert werden.
Begleitung der strukturellen Veränderungen durch Change-Management-Prozesse, die alle relevanten Stakeholder einbeziehen und proaktive Unterstützung bieten.
Kompetenzentwicklung
Erfolgreiche geteilte Führung basiert auf der gezielten Entwicklung von Führungskompetenzen im Team. Je nach Implementierungsmodell müssen einzelne Teammitglieder ohne formelle Führungsfunktion Führungskompetenzen besitzen, um zum Beispiel die Teilprojektleitung übernehmen zu können. Boon (2021) legt nahe, dass insbesondere kognitive Flexibilität und Coaching-Fähigkeiten der Teamleiter*innen entscheidend für die kreative Leistung sind. Die Entwicklung dieser Kompetenzen sollte durch gezielte Trainingsmaßnahmen unterstützt werden (Edelmann et al., 2023). Dabei ist es wichtig, sowohl individuelle als auch kollektive Entwicklungspfade zu berücksichtigen. Mentoring-Programme und Peer-Learning-Formate haben sich als besonders effektiv erwiesen.
Die Kompetenzentwicklung sollte dabei als kontinuierlicher Prozess verstanden werden, der regelmäßig evaluiert und angepasst wird. Damit geteilte Führung funktionieren kann,
ist die gezielte Entwicklung der dafür notwendigen Kompetenzen besonders wichtig.
Empfehlungen in Kurzform:
Implementierung gezielter Trainingsmaßnahmen zur Förderung
von kognitiver Flexibilität und Coaching-Kompetenzen im Team.
Einsatz von Mentoring-Programmen und Peer-Learning-Formaten, um
die individuelle und kollektive Entwicklung zu unterstützen.
Kompetenzentwicklung als kontinuierlicher Prozess und mit
regelmäßiger Evaluation, um diesen an die sich wandelnden Anforderun-
gen anzupassen.
Wissensmanagement
Ein effektives Wissensmanagement ist fundamental für den Erfolg geteilter Führung; so
wurde die vermittelnde Rolle des Wissensaustauschs zwischen geteilter Führung und
Teamperformance empirisch verdeutlicht (Abid, 2024). Das bedeutet, dass geteilte
Führung nur dann zu einer erhöhten Teamperformance führen kann, wenn auf ein funktionierendes Wissensmanagement zurückgegriffen werden kann. Daher sollten in der Organisation Systeme implementiert werden, die den Wissensaustausch aktiv fördern.
Außerdem sollten die eingesetzten Wissensmanagementsysteme das Wissen einfach zugänglich machen und nicht zum Frust-Werkzeug werden. Dies umfasst sowohl technische Lösungen für die Wissensdokumentation als auch soziale Praktiken wie Communities of Practice und regelmäßige Wissensaustauschformate. Besonders wichtig ist die Schaffung einer Kultur, die Wissensteilung belohnt und fördert. Gelingt dies nicht, ist im Umkehrschluss ein erfolgreicher Einsatz des Führungsmodells gefährdet.
Empfehlungen in Kurzform:
Für den Erfolg geteilter Führung wird die Implementierung eines
umfassenden Wissensmanagementsystems empfohlen.
Das System sollte sowohl technische Lösungen als auch soziale
Praktiken umfassen.
Sicherstellung, dass dieses System den Wissensaustausch aktiv fördert,
Wissen leicht zugänglich macht und eine Kultur etabliert, die Wissensteilung belohnt.
Teambasierte Strukturen
Die Entwicklung effektiver Teamstrukturen ist essenziell für erfolgreiche geteilte Führung. Dabei spielt interpersonelles Vertrauen eine Schlüsselrolle für die Teameffektivität
(Neelam et al., 2016). Auch in virtuellen Teams zeigt sich, dass geteiltes Führungsverhalten
die Zufriedenheit der Teammitglieder und die Produktivität positiv beeinflusst (Mayer et al., 2023).
Die Gestaltung der Teamstrukturen sollte dabei die spezifischen Anforderungen
der Aufgaben sowie die vorhandenen Kompetenzen berücksichtigen. Regelmäßige Teamentwicklungsmaßnahmen und die Förderung informeller Netzwerke sind wichtige Erfolgsfaktoren.
Empfehlungen in Kurzform:
Förderung von interpersonellem Vertrauen innerhalb der Teams, da es entscheidend für die Effektivität ist.
Implementierung von regelmäßigen Teamentwicklungsmaßnahmen, um Zusammenarbeit und Dynamik in den Teams zu stärken.
Unterstützung des Aufbaus informeller Netzwerke und sozialer Verbindungen, um eine positive Teamkultur zu etablieren.
Innovation und Kreativität
Die praktische Umsetzung geteilter Führung sollte gezielt Räume für kreative Zusammenarbeit schaffen. Bienefeld und Grote (2014) verdeutlichen, dass geteilte Führung besonders in komplexen Projektumgebungen die Innovationsfähigkeit steigert. Die Schaffung von Innovationsräumen und die Förderung experimentellen Lernens sollten fester Bestandteil der Implementierungsstrategie sein.
Empfehlungen in Kurzform:
Gezielte Schaffung von Räumen für kreative Zusammenarbeit und Innovation sowie Angebot von Möglichkeiten, um experimentelles Lernen aktiv zu fördern und neue Ideen zu entwickeln.
Förderung einer Kultur des offenen Austauschs und der Kreativität. Regelmäßige und interdisziplinäre Projektgruppen können dabei helfen.
Fazit
Die Analyse der geteilten Führung zeigt, dass dieses Führungskonzept eine vielversprechende Antwort auf die Herausforderungen moderner Organisationen darstellt. Die zunehmende Komplexität der Arbeitswelt, gepaart mit steigenden Anforderungen an Flexibilität und Innovation, macht deutlich, dass traditionelle hierarchische Führungsmodelle an ihre Grenzen stoßen. Geteilte Führung bietet hier einen wertvollen Ansatz, der sowohl die Effektivität der Organisation als auch das Wohlbefinden der Beschäftigten positiv beeinflussen kann.
Die Implementierung geteilter Führung erfordert jedoch ein tiefgreifendes Verständnis der organisationalen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen. Besonders bedeutsam sind dabei die kulturellen Aspekte, die eine entsprechende Führungskultur ermöglichen und fördern. Die Forschung zeigt eindrücklich, dass vor allem in virtuellen und komplexen Arbeitsumgebungen geteilte Führung ihre Stärken ausspielen kann.
Ein zentraler Erfolgsfaktor ist das Zusammenspiel von strukturellen und kulturellen Elementen. Während die strukturellen Voraussetzungen wie klare Prozesse und digitale Infrastruktur die Basis bilden, ist es die Unternehmenskultur, die über den nachhaltigen Erfolg entscheidet. Besonders der Aufbau von Vertrauen, die Förderung von Wissensaustausch und die Bereitschaft, Hierarchien abzubauen, haben sich als kritische Faktoren herauskristallisiert.
Die verschiedenen Implementierungsformen – von rotierenden über parallele bis hin zu
emergenten Modellen – bieten die notwendige Flexibilität für unterschiedliche organisationale Anforderungen. Dabei wird deutlich, dass geteilte Führung nicht als Universallösung verstanden werden sollte, sondern ihre Implementierung stets an den spezifischen Kontext der Organisation angepasst werden muss.
Für die Zukunft zeichnet sich ab, dass geteilte Führung weiter an Bedeutung gewinnen wird, insbesondere im Kontext zunehmender Digitalisierung und flexibler Arbeitsmodelle. Die Herausforderung wird darin bestehen, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen und gleichzeitig die Balance zwischen Struktur und Flexibilität zu wahren. Dabei wird es
entscheidend sein, die Entwicklung von Führungskompetenzen auf breiter Basis zu fördern und eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens und der Zusammenarbeit zu etablieren.
Das Literaturverzeichnis zum Beitrag finden Sie im aufgeführten Download-PDF.

Alexander Schade, M.Sc.
Psychologe
E-Mail: schade@dgp.de
Alexander Schade ist Psychologe mit einem Masterabschluss von der
Technischen Universität Dresden, spezialisiert auf Arbeits- und Organisationspsychologie. Bei der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen e. V. verantwortet er als Eignungsdiagnostiker die Beratung, Konzeption und Durchführung von Assessment Centern. Seine Expertise umfasst außerdem Trainings und Coachings in der Personal- und Führungskräfteentwicklung. Während seines Studiums forschte er intensiv zum Thema geteilte Führung.