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Fachbeitrag: Konzeption eines Assessment-Centers für Leitstellendisponent*innen

Titelbild mit Einsatzfahrzeug - kein Text

Autoren: Stefan Riechmann & Rafael Trautmann

Ein Beitrag der dgp informationen – das Download-PDF finden Sie am Ende des Artikels.

Die beiden Autoren geben in ihrem Artikel einen Überblick über die Struktur der Gemeinsamen integrierten Regionalleitstelle der Feuerwehren Solingen und Wuppertal und über die Anforderungen des Arbeitsplatzes Leitstelle. Weiterhin wird erläutert, wie das bisherige Verfahren zur Auswahl von Leitstellendisponent*innen gegliedert war und warum neue rechtliche Rahmenbedingungen zu einer Anpassung des Auswahlverfahrens führten. Ein Praxisbericht über die Konzeption und Durchführung des neuen Verfahrens sowie erste Erfolgsmeldungen schließt sich daran an.

Im Dezember 2022 wurde in der Gemeinsamen integrierten Regionalleitstelle der Feuerwehren Solingen und Wuppertal zum ersten Mal ein Auswahlverfahren für die Zulassung zur Ausbildung zum/r Leitstellendisponent*in durchgeführt. Grund dafür war die Umsetzung eines Erlasses des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) hinsichtlich der Qualifikation von Leitstellenpersonal.

Die Leitstellenwelt in Deutschland

In Deutschland existieren aktuell 232 Leitstellen der nichtpolizeilichen (npol) Gefahrenabwehr. Die Hauptaufgabe der Leitstellen ist die Annahme und Bearbeitung von Hilfeersuchen, welche über den Notruf 112 und andere Telefonnummern abgesetzt werden. Neben dieser Aufgabe nehmen Leitstellen lokal noch weitere Service-Aufgaben wahr, wie zum Beispiel die Überwachung von Straßentunneln oder die Überwachung der Ampeln im Zuständigkeitsgebiet. Sie sind die Meldeköpfe der Stadt- bzw. Kreisverwaltungen. Leitstellen werden als „Gehirne“ der Kreise und kreisfreien Städte bezeichnet, hier laufen alle Fäden zusammen, hier werden alle Einsatzkräfte alarmiert und koordiniert. Mit „Einsatzkräfte“ sind nicht ausschließlich die Feuerwehren und Rettungsdienste gemeint, sondern alle sogenannten „Blaulicht-Organisationen“, wozu zum Beispiel auch das Technische Hilfswerk (THW) und die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) gehören.

Es existieren diverse unterschiedliche Organisationsformen von Leitstellen in Deutschland. So gibt es Leitstellen von Berufsfeuerwehren (in kreisfreien Städten), Kreisleitstellen (in Landkreisen), Regionalleitstellen (Zusammenschlüsse mehrerer Landkreise bzw. Berufsfeuerwehren), kooperative Leitstellen (Zusammenschlüsse von Leitstellen der Polizeibehörden und npol-Leitstellen; diese werden auch „bunte“ Leitstellen genannt). Regionalleitstellen existieren auf der einen Seite zusammengelegt an einem Standort („Großleitstelle“) und auf der anderen Seite virtuell vernetzt mit mehreren Standorten.

Die Gesetzgebungskompetenz für Leitstellen liegt bei den Ländern. Föderalismusbedingt liegt die Zuständigkeit zum Teil bei den Gesundheitsministerien, bei den Innenministerien oder bei den Sozialministerien. In Nordrhein-Westfalen ist sowohl das Innenministerium (für den feuerwehrtechnischen Teil) als auch das Gesundheitsministerium (für den medizinischen Teil) zuständig. Ebenso bedingt durch den Föderalismus unterscheiden sich die Dauer und die Inhalte der Ausbildung sowie die geforderten Qualifikationen für Mitarbeitende in den Leitstellen.

Die medizinische Qualifikation für Leitstellenpersonal in NRW entspricht mindestens der sogenannten „RS+“ (Rettungssanitäter*innen mit leitstellenspezifischer Zusatzausbildung) und feuerwehrtechnisch die Ausbildung in der Laufbahngruppe 1.2 (ehem. Mittlerer feuerwehtechnischer Dienst) plus die Ausbildung zum/zur Gruppenführer*in. Leitstellendisponent*in ist der einzige Tätigkeitsbereich in Medizin und Feuerwehrwesen, der nicht deutschlandweit einheitlich geregelt ist.

Die Leitstelle Wupper

Die Gemeinsame integrierte Regionalleitstelle der Feuerwehren Solingen und Wuppertal (kurz: „Leitstelle Wupper“) existiert in ihrer jetzigen Form seit 2007. Hervorgegangen ist dieses in Deutschland immer noch einzigartige Projekt interkommunaler Zusammenarbeit aus den damals eigenständigen Leitstellen der Berufsfeuerwehren Solingen und Wuppertal. In der Leitstelle Wupper arbeiten Beamte und Beamtinnen aus beiden Gebietskörperschaften. Im Laufe der Jahre ist aus einem „Ihr“ ein „Wir“ geworden. Heutzutage spielt es keine Rolle mehr, welches Stadtwappen die eigene Uniform ziert.

Räumlich ist die Leitstelle Wupper aktuell noch in der Hauptfeuer- und Rettungswache der Berufsfeuerwehr Wuppertal auf der August-Bebel-Straße beheimatet. Dennoch wird eine neue, bedeutend größere Leitstelle an der Stadtgrenze zu Solingen geplant. Weder die sozialen Räumlichkeiten (Ruheräume, Aufenthaltsraum, Küche) noch der Leitstellenbetriebsraum der derzeitigen Leitstelle sind an die geänderten äußeren und inneren Gegebenheiten adaptierbar.

Ausgelegt war die Leitstelle bei der ursprünglichen Planung für fünf Disponent*innen (Dispo), zwei Führungsassistent*innen (Fü-Ass, davon eine/r in Solingen) im 24-Stunden-Dienst und zwei Disponent*innen im Tagesdienst. Aktuell sind ein/e Lagedienstführer*in (LDF), sechs Disponent*innen und zwei Führungsassistent*innen im 24-Stunden-Dienst und vier Disponent*innen im Tagesdienst tätig. In Zukunft werden, laut einem neuen Organisationsgutachten, sogar ein/e LDF*in + sieben Disponent*innen + zwei Fü-Ass*innen (davon eine/r in Solingen) im 24-Stunden-Dienst und vier Disponent*innen im Tagesdienst in der Leitstelle ihren Aufgaben nachgehen. Nicht vergessen darf man zudem schon heute eine/n Disponent*in der vier Wuppertaler Hilfsorganisationen, der/die montags bis samstags von 9 bis 19 Uhr ebenfalls seinen/ihren Dienst in der Leitstelle versieht und dort den qualifizierten Krankentransport in der Stadt Wuppertal disponiert.

In der Leitstelle stehen zur Zeit nach einer Erweiterung neun Einsatzleitplätze zur Verfügung. Wenn das Organisationsgutachten umgesetzt ist, werden bis zu acht der neun Einsatzleitplätze regelmäßig besetzt sein. Die Vorgabe des damaligen Leitstellenplaners, dass nämlich in jeder Stadt ein Einsatz der Größenordnung F2 (Feuer mit zwei Löschzügen) parallel in der Leitstelle bearbeitet werden kann, ist vor diesem Hintergrund schon lange nicht mehr umsetzbar. Dies liegt auch daran, dass nicht nur das operativ-taktische „Geschäft“ im Laufe der Jahre stellentechnisch angewachsen ist, sondern auch der administrativ-technische Bereich.

Die bei der Planung vorgesehenen Büros für den letztgenannten Bereich reichen bereits seit Längerem nicht mehr aus, sodass neue Mitarbeiter*innen in anderen Bereichen der Feuerwache ihre Büros haben. Derzeit arbeiten 45 Disponent*innen auf drei Dienstgruppen und zwei Disponent*innen im Tagesdienst in der Leitstelle. Sechs Lagedienstführer*innen / Dienstgruppenleiter*innen leiten die einzelnen Dienstgruppen. Sechs Mitarbeitende sind in den Bereichen Leitstellenleitung und Technik und zwei Mitarbeiter*innen in Stabsstellen tätig. Laut Gutachten werden sowohl der operativ-taktische als auch der administrativ-technische Bereich in Zukunft noch kräftigen Zuwachs bekommen.

Arbeitsplatz Leitstelle

Der Arbeitsplatz Leitstelle hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt. Der rasante technische Fortschritt, die kurzen Veränderungsintervalle und die gestiegenen Anforderungen an die Soft- und Hard-Skills der Leitstellendisponent*innen sind enorm. In kaum einem anderen Arbeitsfeld werden so viele Entscheidungen in so kurzen Abständen getroffen wie in einer Leitstelle. Jedes Notrufgespräch endet mit einer Entscheidung. Nirgendwo ist der Tätigkeitsbereich zudem so transparent wie in einer Leitstelle, denn jede Handlung ist sekundengenau dokumentiert. Während man früher abwertend behauptet hat: „Ist ja nur ein bisschen Telefonieren, Funken und Knöpfe drücken – was soll daran schon stressig sein?“, hat man heute erkannt, dass diese Arbeit – im Vergleich zu anderen Tätigkeiten in einer Feuerwehr – stark belastend ist und mit einem höheren Risiko für psychische, psychosomatische und physiologische Probleme einhergeht.

Eine Studie von Herbig & Müller (2016) stellt dar, dass Mitarbeiter*innen in diesem Tätigkeitsfeld eine höhere Herzfrequenz, einen höheren Blutdruck und eine niedrigere Herzratenvariabilität haben als Mitarbeiter*innen der Kontrollgruppe. Diese Kontrollgruppe setzte sich aus Personal zusammen, welches regulär im Rettungsdienst bzw. in der Feuerwehr ist und nur noch als sogenannte „Springer*in“ oder „Vertreter*in“ temporär in der Leitstelle eingesetzt wird. Dafür verantwortlich sind hohe kognitive, kommunikative, fachspezifische und mental-informatorische Anforderungen sowie eingeschränkte Entscheidungsspielräume.

Die Anforderungen an das in den Leitstellen arbeitende Personal sind sehr speziell und heben sich in vielen Punkten von den Standardanforderungen im Bereich Feuerwehr /Rettungsdienst ab. Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, ist eine hochspezialisierte Ausbildung erforderlich.

Leitstellendisponent*innen sind immer die ersten am Einsatzort. Sie sind im Laufe der letzten Jahre immer weiter in eine aktive Rolle in der Rettungskette gekommen. Sie geben Erste-Hilfe- und Sicherheitshinweise bis hin zur telefonischen Anleitung zur Reanimation. Sie bekommen immer die ersten Emotionen der Anrufer*innen „ab“. Sie beruhigen und stehen bei. „Nur weil ich kein Blut an meinen Stiefeln habe, heißt es nicht, dass ich nicht dabei war…“, ist ein Spruch, der sehr gut passt. Dennoch werden die beruflichen Aufgaben von Leitstellendisponent*innen immer noch von vielen belächelt. In Wuppertal dauert die Ausbildung zur/zum Leitstellendisponent*in für Rettungssanitäter*innen aktuell 17 Wochen, diese teilen sich wie folgt auf: sechs Wochen Rettungssanitäter*in RS+ (Lehrgang: medizinische Basisqualifizierung), sechs Wochen Leitstellenlehrgang und fünf Wochen Praktikum.

Alle drei Monate müssen die Auszubildenden für drei Tage zur Rettungsdienstakademie der Feuerwehr Wuppertal, um dort insgesamt drei Vertiefungsmodule zu absolvieren. Die Abschlussprüfung zur/zum Rettungssanitäter*in darf nach 12 Monaten absolviert werden. Erst mit dem erfolgreichen Ablegen der Abschlussprüfung haben die Auszubildenden ihre rettungsdienstliche Mindestqualifikation erreicht.

Personalauswahl in der Leitstelle bis 2022

Bis einige Jahre nach der Zusammenlegung der Leitstellen rekrutierte sich das Personal für die Leitstelle aus Beamt*innen, welche sich auf eine Ausschreibung für eine Ausbildung zum/zur Leitstellendisponent*in beworben hatten. Nachdem sich nur noch sehr wenige Beamt*innen für diese Ausbildung entschieden hatten und der Personalbedarf nicht mehr aus Freiwilligen generiert werden konnte, erfolgte eine Veränderung des Zugangsweges zur Leitstelle.

Ab 2011 wurde die Ausbildung zum/zur Leitstellendisponent*in Bestandteil der Ausbildung zum/zur Gruppenführer*in, sprich: jede/r Beamt*in, welche/r die Ausbildung zum Gruppenführer*in absolvieren wollte, musste auch die Leitstellenausbildung absolvieren und sich dazu verpflichten, mindestens ein Jahr in der Leitstelle eingesetzt zu werden – unabhängig davon, ob er/sie für diese Tätigkeit als geeignet oder als eventuell nur bedingt geeignet beurteilt wurde.

Dieses Verfahren sorgte für eine enorm hohe Fluktuation. Jedes Jahr zum 01.01. kam der große personelle Umbruch – Personal mit Erfahrung wurde gegen Personal ohne Erfahrung ausgetauscht, sehr zum Leidwesen der wenigen Kolleg*innen mit einer festen Verwendung in der Leitstelle. Eine gleichbleibend hohe Arbeitsqualität ließ sich mit diesem Verfahren nicht erreichen.

Personalauswahl in der Leitstelle seit 2023

Im Dezember 2019 hat das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW einen Erlass zusammen mit einem Ausbildungs-Curriculum veröffentlicht, welcher die rettungsdiensttechnische Qualifikation für das in den Leitstellen arbeitende Personal neu regelt. Im Rettungsdienstgesetz NRW war bis zur Veröffentlichung dieses Erlasses die Mindestqualifikation die Ausbildung als Rettungsassistent*in (1.600 h); nunmehr ist die Ausbildung als Rettungssanitäter*in (520 h) die Mindestqualifikation – zuzüglich einer sechswöchigen modularen, leitstellenspezifischen sowie medizinischen Zusatzausbildung für Rettungssanitäter*innen.

Diese Weiterqualifizierung hat keine einheitliche Bezeichnung und wird zum Teil als „Leitstellensanitäter*in“ benannt. In Wuppertal hat man sich für den Begriff „Rettungssanitäter*in+“ entschieden. Laut dem oben aufgeführten Erlass soll für die Personalauswahl die persönliche Eignung mittels geeigneter Methoden oder Verfahren überprüft werden (zum Beispiel in Form eines Assessment-Centers).

Praxisbericht: Das Assessment-Center-Verfahren

1. Die Auftragsklärung

Um die oben genannten Anforderungen und Herausforderungen in der Leitstelle bewältigen zu können, ist das Vorhandensein bestimmter Kompetenzen bei den Bewerber*innen unabdingbar. Kompetenz wird im Sinne von Handlungsfähigkeit verstanden und stellt eine individuelle Disposition zur Bewältigung spezifischer Aufgaben und Situationen dar. In dem oben eingeführten Erlass wurden die folgenden persönlichen Fähigkeiten festgeschrieben:
→ Kommunikation,
→ Gesprächsführung,
→ Sprachkompetenz,
→ Schreibkompetenz,
→ Belastungsfähigkeit,
→ Kombinationsfähigkeit,
→ Frustrationstoleranz,
→ soziale Kompetenz und
→ Transformationskompetenz.

Da diese Kompetenzen als individuelle Dispositionen in der Person des/der Bewerber*in liegen, können diese zum Teil nicht so einfach erlernt werden. Somit empfiehlt es sich, diese persönlichen Fähigkeiten vor der Zulassung für die Ausbildung zur/zum Leitstellendisponent*in bei den Bewerber*innen zu überprüfen. Das als Behörde allein zu planen, durchzuführen und die gezeigten Leistungen zu bewerten, war nach Auffassung der Feuerwehr Wuppertal nicht rechtssicher möglich.

Aus diesem Grund und aufgrund einer schon jahrzehntelang existierenden vertrauensvollen Zusammenarbeit der Stadt Wuppertal mit der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen e.V. (dgp) entschieden die Verantwortlichen sich, mit der dgp gemeinsam ein Auswahlverfahren für die Wuppertaler Beamt*innen zu entwickeln.

In den ersten Überlegungen zur Konzeption des Auswahlverfahrens wurde deutlich, dass sich zur Überprüfung der persönlichen Eignung ein Assessment-Center (AC) anbietet, welches mehrere methodisch unterschiedlich gestaltete Verfahren kombiniert und in dem die Bewerber*innen von mehreren Beobachter*innen beurteilt werden. Kennzeichnend für ein AC ist zudem das sogenannte Simulationsprinzip (simuliert werden Aufgaben / Situationen der angestrebten Tätigkeit), welches einen hohen Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Eignung der Bewerber*innen bietet. Es lassen sich also erfolgskritische Situationen der Leitstellenarbeit simulieren und die Kompetenzen der Bewerber*innen
besser bewerten.

2. Anforderungsanalyse

Da das Kompetenzmodell bereits vorlag, wurden die geforderten Fähigkeiten in einer Anforderungsanalyse hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Zielposition Leitstellendisponent*in konkretisiert. Auf dieser Basis wurden die entsprechenden Situationen oder Aufgaben beschrieben, in denen diese Anforderungsmerkmale erfolgskritisch sind.

Tabelle 1: Anforderungsprofil Leitstellendisponent*in

In der Tabelle sind alle ermittelten Anforderungen aufgeführt: 
→ Kommunikation, 
→ Gesprächsführung, 
→ Sprachkompetenz, 
→ Schreibkompetenz, 
→ Belastungsfähigkeit, 
→ Kombinationsfähigkeit, 
→ Frustrationstoleranz, 
→ soziale Kompetenz und 
→ Transformationskompetenz sowie Motivation.

Weiterhin wurde konkretes Verhalten beschrieben und dieses sodann in entsprechende Simulationsübungen bzw. Interviewfragen übersetzt. Vereinbart wurde weiterhin, weniger trennscharfe Fähigkeiten zu einem Kompetenzbereich zusammenzuziehen und als weitere Anforderungsdimension die Motivation in das Anforderungsprofil aufzunehmen.

Um Kriterien für die Einschätzung beobachtbaren Verhaltens zu gewinnen, wurden die Anforderungsmerkmale für jedes Verfahrenselement separat operationalisiert, d.h. es wurden Verhaltensindikatoren entwickelt, welche die anforderungsgerechte Ausprägung von Leistung bzw. Verhalten der Teilnehmenden in der betreffenden Anforderungsdimension beschreiben. Beispielhaft seien an dieser Stelle Indikatoren für eine ausgeprägte Kommunikations- / Sprachkompetenz aufgeführt.

Kasten 1: Beispielhafte Operationalisierung des Kriteriums Kommunikations- / Sprachkompetenz (Rollenspiel) - Die Abbildung stellt eine Tabelle dar: Der Bewerber, die Bewerberin... – wählt eine auf die Empfänger*innen ausgerichtete Sprache. – formuliert klar, flüssig, präzise. – redet angemessen schnell. – hat einen angemessenen Wortschatz. – nutzt treffende Formulierungen und eine anschauliche Sprache. – erfasst das Wesentliche einer Information. – kann Informationen nutzen und umsetzen.

3. Auswahl und Zusammenstellung von Verfahren

Den Qualitätsstandards der AC-Methode des Forum Assessment e. V. und der DIN 33430 „Anforderungen an berufsbezogene Eignungsdiagnostik“ folgend, wurde bei der Auswahl und der Entwicklung der Verfahren darauf geachtet, mindestens drei unterschiedliche Verfahrenselemente einzusetzen (Verhaltenssimulation, standardisiertes Interview sowie Testverfahren). In einer Anforderungs-Übungs-Matrix wurde festgehalten, welche Kompetenz mit welchem Verfahrenselement erfasst werden soll (wobei jede Kompetenz mit mindestens zwei unterschiedlichen Verfahrenselementen beurteilt werden soll).

Tabelle 2: Anforderungs-Übungs-Matrix Die Abbildung umfasst eine Tabelle mit vier Spalten. Den Anforderungen (Spalte 1) werden jeweils passende Übungen zugewiesen. Spalte 2 ist der Online-Test, Spalte 3 das Rollenspiel, Spalte 4 das Interview.

Für den Online-Test (Norm: mittlerer Dienst) kamen das Basis-Modul „Verbale Verarbeitungskapazität“ und das Modul „Deutsch Rechtschreibung“ des kognitiven Eignungstests MOT-V der dgp zum Einsatz. Mit den Subtests „Analogien“ und „Wortklassifikationen“ wurde das Anforderungskriterium Kommunikations- / Sprachkompetenz erfasst, die Kombinationsfähigkeit wurde mit den Subtests „Textanalyse“ und „Schlussfolgern“ erhoben. Für die eingesetzten Module liegen Normen für den mittleren Dienst (N = 3034) vor. Die Bearbeitungszeit für die eingesetzten Module lag bei 60 Minuten. Nach Beendigung der Testbearbeitung waren die Testergebnisse sofort verfügbar.

Für das Rollenspiel mit einer maximalen Dauer von 15 Minuten wurden – abgeleitet aus der Anforderungsanalyse – drei Situationen erarbeitet, in denen die Bewerber*innen in der Funktion eines Leitstellendisponenten oder einer Leitstellendisponentin Notrufe zu bearbeiten hatten. Deren Komplexitätsgrad war jedoch so gestaltet, dass die Situationen auch ohne spezifische Leitstellenerfahrung bewältigbar war.

Die Bewerber*innen hatten die Aufgabe, alle wichtigen Informationen zu erheben, um zu einer verlässlichen Einschätzung der Situation zu gelangen und folgerichtig zu handeln. Während des Rollenspiels versuchte der Anrufer durch sein Gesprächsverhalten, den/die Bewerber*in zu irritieren und zu unterbrechen. Die unterschiedlichen Settings wurden den Teilnehmer*innen per Zufallsauswahl zugelost. Der Rollenspieler (Anrufer) wurde mit der Rollenspielanweisung vertraut gemacht, damit er im Sinne der Instruktion standardisiert agieren und allen Teilnehmer*innen vergleichbare Handlungsspielräume ermöglichen konnte.

Kasten 2: Situative Frage zum Anforderungskriterium "soziale Kompetenz" mit Verhaltensindikatoren. Bitte versetzen Sie sich in folgende Situation: Nach einem Notruf Verkehrsunfall mit mehreren Schwerverletzten) stellen Sie fest, dass eine/r Ihrer Kolleg*innen in der Leitstelle abwesend und in sich gekehrt wirkt. Als Sie ihn/sie darauf angesprochen haben, hat er/sie "Ach, ist nichts“ geantwortet und ist Ihnen aus dem Weg gegangen. Was tun Sie? (Verhaltensindikatoren: Fragt noch einmal nach, bietet Hilfe an, wenn gewünscht, beobachtet weiterhin Verhalten, spricht Kolleg*in erneut an, schaltet unter Umständen weitere Instanzen ein.)

Der letzte Teil des Auswahlverfahrens bestand aus einem ca. 40 Minuten dauernden standardisieren Interview. Um die Vergleichbarkeit zwischen den Bewerber*innen sicherzustellen, wurde ein Interviewleitfaden entwickelt, der sich aus elf anforderungsbezogenen (überwiegend) situativen und biografischen Fragen sowie Fragen zur Motivation zusammensetzte.

Ergänzt wurde das Interview durch zwei kurze Simulationen. Dazu wurden den Teilnehmer*innen kurze Tondokumente vorgespielt. In der ersten Übung ging es darum, eine Rückmeldung zu einem Einsatz über Funk von einem Einsatzort strukturiert zu protokollieren (Anforderungskriterium Schreibkompetenz) und wiederzugeben. Die zweite Übung bestand aus einem zu Übungszwecken aufgezeichneten Notruf-Dialog, in dem die zuständige Disponent*in mehrere Fehler in der Gesprächsführung machte, die der / die Kandidat*in erkennen sollte (Gesprächsführungskompetenz). Für beide Übungen existierte ein Auswertungsschema.

4. Beobachter*innen

Rolle der Beobachter*innen wurden vom Abteilungsleiter der Leitstelle Wupper, dem Teamleiter „Operative Leitstellenarbeit“ sowie einer Mitarbeiterin aus dem Personalmanagement übernommen. Vor Beginn des Verfahrens erhielten die Beobachter*innen eine Beobachtungsschulung, in der sie mit der Skala, den Regeln der Entscheidungsfindung, der Beobachtungssystematik und möglichen Beobachtungsfehlern vertraut gemacht wurden. Ein Mitglied der Personalvertretung war an allen Tagen anwesend. Moderiert wurde das Verfahren vom verantwortlichen Eignungsdiagnostiker der dgp.

5. Bewertung und Entscheidung

Zur Bewertung wurden Antworten und Verhalten der Bewerber*innen den einzelnen Anforderungsdimensionen und einem definierten Punktwert zugeordnet. Dazu bedurfte es
einer genauen Definition der Anforderungsmerkmale (Operationalisierung) und einer Rating-Skala.

Kasten 3: Rating-Skala der Anforderungmerkmale Skalierung des Eignungsprofils: 5 Anforderungen sind erfüllt 4 Anforderungen sind weitgehend erfüllt 3 Anforderungen sind teilweise erfüllt 2 Anforderungen sind weitgehend nicht erfüllt 1 Anforderungen sind nicht erfüllt



Bei der Bewertung urteilten die Beobachter*innen zunächst unabhängig voneinander. Pro Anforderungsdimension wurden die Werte der Beobachter*innen zusammengefasst, dann der Mittelwert berechnet und schließlich die Bewertungen zu einem Gesamturteil für jede/n Bewerber*in erstellt.

Die Regeln der Entscheidungsfindung waren im Vorfeld des Verfahrens verbindlich vereinbart worden, wobei insbesondere höhere Cut-Off-Werte für die als besonders bedeutsam erachteten Anforderungskategorien festgelegt wurden. Zu diesen zählen Kommunikations- / Sprachkompetenz sowie Kombinationsfähigkeit.

Fazit

Das Ziel des Verfahrens wurde erreicht. 17 Bewerber*innen haben das AC im Dezember 2022 durchlaufen. Acht Bewerberinnen wurden ausgewählt, von denen alle ihre Ausbildung mit Bravour bestanden haben und nun als Disponent*innen in der Leitstelle tätig sind. Es ist ein deutlicher Unterschied in der Motivation und Lernbereitschaft im Vergleich mit den Absolvent*innen der letzten Jahre erkennbar.

In der Nachbefragung wurden das gesamte Verfahren, die Prozessgestaltung sowie die Ergebnisse von allen Teilnehmenden, Beobachter*innen und der Personalvertretung als fair empfunden und akzeptiert. Bis zum nächsten Einsatz des Verfahrens Ende 2023 wird es noch einige kleine Veränderungen an den eingesetzten Verfahrenselementen geben, im Kern bleibt das Assessment-Center aber so erhalten.

Es bleibt festzuhalten, dass ein Auswahlverfahren, welches mit situativen Interviews und Simulationen arbeitet, gut geeignet ist, die Anforderungen der Tätigkeit in einer Leitstelle realitätsnah abzubilden. Darüber hinaus hilft es, zwischen weniger oder nicht geeigneten Bewerber*innen und solchen zu unterscheiden, die über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen und somit Zugang zur Ausbildung erhalten sollen. Kognitive Testverfahren sind ein solider Prädiktor für den erfolgreichen Abschluss der Ausbildung zum/r Leitstellendisponent*in und späteren Berufserfolg in der Leitstelle.

Das Literaturverzeichnis zum Beitrag finden Sie im aufgeführten Download-PDF.


Rafael Trautmann, Berufsfeuerwehr Wuppertal

Rafael Trautmann

Stabsstelle Standardisierte Notrufabfrage, Kommunikation und Simulation / Berufsfeuerwehr Wuppertal
E-Mail: rafael.trautmann@stadt.wuppertal.de

Rafael Trautmann arbeitet in der Stabsstelle „Notrufabfrage / Kommunikation und QM“ bei der Feuerwehrleitstelle Solingen-Wuppertal. Neben der Aus- und Fortbildung ist er in den Bereichen Qualitätsmanagement / Qualitätssicherung, Notrufabfrage (Kommunikation) und Projektarbeit tätig. Er ist als Sprecher der Arbeitsgruppe Leitstelle (Deutsche Gesellschaft für Rettungswissenschaften) in Wissenschaft und Forschung tätig. Nebenberuflich ist er als Autor und Dozent für das Thema „Kritische Kommunikation im Notruf“ im deutschsprachigen Raum unterwegs.

Stefan Riechmann, dgp

Stefan Riechmann

Diplom-Psychologe
E-Mail: riechmann@dgp.de

Stefan Riechmann arbeitet seit 2001 als beratender Personal- und Organisationspsychologe bei der dgp am Standort Düsseldorf. Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Konzeption und Durchführung von Personalauswahlverfahren, so auch Assessment-Centern, sowie die Entwicklung von Führungskräften. Er besitzt die DIN 33430-Lizenz E für Eignungsdiagnostiker*innen.

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