Autoren: Maximilian Dicker & Stephan Jerusel
Ein Beitrag der dgp informationen – das Download-PDF finden Sie am Ende des Artikels.
Es kommt gelegentlich vor, dass unsere Kund*innen von Vorbehalten gegenüber strukturierten Auswahlverfahren (z.B. Assessment-Center) seitens Bewerber*innen berichten, die teilweise auch zum Rückzug der Bewerbung führen. Es scheint, dass strukturierte Auswahlverfahren bei Bewerbenden in ihrem Sinn und Nutzen unterschiedlich wahrgenommen und akzeptiert werden. Wie ist also die aktuelle Lage mit Blick auf die Akzeptanz von strukturierten Auswahlverfahren bei Bewerber*innen, warum ist dieser Punkt überhaupt relevant für die Personalauswahl und was unternehmen wir als dgp diesbezüglich?
Relevanz der Akzeptanz bei strukturierten Auswahlverfahren
Kennen Sie das auch? „Nein, das mache ich nicht. An einem Assessment-Center werde ich nicht teilnehmen. Damit habe ich bereits schlechte Erfahrungen gemacht. Dann ziehe ich meine Bewerbung lieber zurück.“
Stellen Sie sich einmal vor, die oben geschilderte Situation wäre nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die Konsequenzen für Stellenbesetzungen und Auswahlverfahren wären offensichtlich fatal: Einerseits wollen Sie mit qualitativ hochwertigen Instrumenten eine möglichst professionelle, faire und treffsichere Entscheidung herbeiführen (und damit nebenbei auch dem Prinzip der Bestenauslese entsprechen). Andererseits reduziert sich durch die Anwendung eben solcher Instrumente Ihr Bewerbenden-Pool drastisch. Das ist eine Zwickmühle.
Es könnte auch passieren, dass Sie im Sinne einer guten Transparenz bereits in der Stellenausschreibung auf das strukturierte Auswahlverfahren hinweisen (was wir Autoren übrigens voll und ganz unterstützen!) und sich einige potenzielle Kandidat*innen deshalb gar nicht erst bewerben. Oder aber, dass im Nachgang an das Auswahlverfahren einzelne Elemente oder die Ergebnisse angezweifelt werden. Hier wird bereits deutlich, dass sich eine geringe Akzeptanz an mehreren Stellen im Bewerbungsprozess negativ auswirken kann und wir als Anwender*innen und Personaler*innen ein starkes Interesse an einer hohen Akzeptanz haben müssen.
Das sieht auch das Forum Assessment e.V. (früher Arbeitskreis Assessment Center) so, welches Standards für Assessment-Center (AC) formuliert hat und dort in Punkt 10 „Evaluation“ den Aspekt der Akzeptanz thematisiert:
Aktuelle Studienlage
Eine Meta-Studie von Anderson, Salgado & Hülsheger (2010) hat Ergebnisse von 38 Einzelstudien aus 17 Ländern analysiert und gelangt zu der Erkenntnis, dass klassische Elemente eines Assessment-Centers wie bspw. Arbeitsprobe, Interview, kognitiver Leistungstest und mit Einschränkungen auch der Persönlichkeitstest in der Akzeptanzbewertung am besten abschneiden. Weniger akzeptiert sind Integritätstests, persönliche Kontakte („personal contacts“) und – keine große Überraschung – Graphologie. Insbesondere die Arbeitsprobe liegt bei den verwendeten Subdimensionen wie z.B. Augenscheinvalidität, wertschätzender Umgang oder Wissenschaftlichkeit, aus denen unter anderem die allgemeine Akzeptanz in dieser Studie errechnet wurde, stets im oberen Bereich.
Kersting, Fellner, Schneider-Ströer & Bianucci (2019) hinterfragen die Ergebnisse von Akzeptanzstudien jedoch auch kritisch, da bspw. belastbare Studien zum Einfluss von Feedback auf das Akzeptanzurteil fehlen. In ihrer eigenen Studie erforschten sie daher diesen Einfluss in einem realen Setting mit einem echten Assessment-Center – keine Laborbedingungen. Die Studienteilnehmenden durchliefen ein AC mit den Stationen Gruppendiskussion, Präsentation, Interview sowie Leistungs- und Persönlichkeitstest.
Zur Akzeptanzmessung wurde der „AKZEPT!- AC“-Fragebogen von Martin Kersting genutzt. Dieser differenziert Akzeptanz nach fünf Aspekten:
→ gute Organisation,
→ positive Atmosphäre,
→ Kontrollierbarkeit,
→ Belastungsfreiheit und
→ Augenscheinvalidität.
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass erstens das Assessment-Center eine sehr positive Akzeptanzbewertung erhält und zweitens diese Bewertung nach dem Feedback insgesamt etwas schlechter ausfällt, was vermutlich auf eine kritischere Selbsteinschätzung nach dem Feedback zurückzuführen ist. Die Autor*innen schlussfolgern, dass die Augenscheinvalidität insgesamt der wichtigste Faktor für die Akzeptanz von Assessment-Centern ist, und geben die Empfehlung, dass gut organisierte ACs mit realistischen Aufgaben und respektvollem Kontaktverhalten erfolgversprechend sind, um bei Bewerbenden einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Diese Empfehlung deckt sich auch mit den (subjektiven) Eindrücken, die wir in der Konzeption und Begleitung von strukturierten Auswahlverfahren in der Praxis sammeln.
Wie wichtig das Thema Akzeptanz bei Bewerbenden in der Praxis ist, soll an dieser Stelle noch durch eine kurze „Anekdote“ deutlich werden. Vor einigen Jahren hat ein Kunde mit einigen internen Bewerbenden ein Assessment-Center in der dgp-Geschäftsstelle am Standort Hannover durchgeführt. Die Bewerbenden hatten durch unseren Kunden lediglich die Information erhalten, dass sie sich an einem Freitag morgens um 8:00 Uhr bei der dgp in Hannover für das AC einzufinden hätten. Die Teilnehmenden hatten durchaus Anreisewege von 2-3 Stunden; und ein Teilnehmer hatte an diesem Tag sogar Geburtstag.
Als der Gruppe im Rahmen der Vorbereitung die Dauer des Verfahrens und das voraussichtliche Ende von ca. 17:00 Uhr mitgeteilt wurde, entgleiste der ein oder andere Gesichtszug deutlich. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie sich die
Bewerbenden in puncto Wertschätzung durch die eigene Organisation gefühlt haben mögen und auf wieviel Akzeptanz das Verfahren im Nachgang bei ihnen gestoßen ist.
Aus diesem Grunde empfiehlt die dgp, bereits vorab möglichst viel Transparenz bezüglich Ablauf, Dauer und beteiligtem Personenkreis eines strukturierten Auswahlverfahrens herzustellen und im Zuge der Einladung, den Bewerbenden entsprechende Informationen direkt anzubieten. Das strukturierte Auswahlverfahren sollte für Bewerbende nach Möglichkeit keine „Blackbox“ darstellen, die vor Ort dann unliebsame Überraschungen bereithält.
Insbesondere aufgrund des sich seit einigen Jahren stärker abzeichnenden Arbeitnehmer*innenmarktes gewinnt die „Candidate Experience“ in der Personalgewinnung an Bedeutung. Hierbei handelt es sich um den gesamten Bewerbungsprozess aus der Perspektive der Bewerbenden und wie positiv oder negativ dieser wahrgenommen wird. Unternehmen und Organisationen sind zunehmend bestrebt, diese Wahrnehmung möglichst positiv zu beeinflussen, um die Wahrscheinlichkeit einer Zusage durch Bewerbende zu erhöhen und negative Bewertungen oder ein schlechtes Image auf Online-Bewertungsportalen wie bspw. Kununu zu vermeiden.
Ein strukturiertes Auswahlverfahren stellt hierbei neben der Stellenausschreibung, der Dauer des gesamten Auswahlprozesses und dem Kommunikations- und Kontaktverhalten des potenziellen Arbeitgebers ein zentrales Element dar. Laut Kersting (2018) prägen Auswahlverfahren das Image einer Organisation im Sinne eines Aushängeschildes, das durch die Wirkung von Bewerber*innen als Multiplikatoren auch auf Dritte (z.B. potenzielle Kund*innen oder weitere Bewerber*innen) ausstrahlen kann. Er betont jedoch auch, dass es bei dem Thema Akzeptanz nicht ausschließlich um die Umwerbung von Bewerber*innen gehe. Eine möglichst akzeptable Gestaltung von Auswahlverfahren drücke auch folgendes aus: Respekt gegenüber anderen Menschen.
Was unternimmt die dpg?
Nicht nur für unsere Kund*innen spielt das Thema Akzeptanz eine zentrale Rolle, sondern auch für die dgp als Durchführende eben dieser strukturierten Auswahlverfahren. Wir erheben daher seit Jahren die Akzeptanz der Bewerber*innen in unseren strukturierten
Auswahlverfahren mit einem Feedbackbogen, welcher den Teilnehmer*innen nach Durchlaufen des Auswahlverfahrens ausgehändigt und noch vor Ort ausgefüllt wird.
Dem Thema der Akzeptanz nähern wir uns dabei anhand der folgenden Aspekte:
→ Transparenz / Informiertheit,
→ gute Organisation des Verfahrens,
→ respektvolles Kontaktverhalten und
→ realistische Aufgaben / Augenscheinvalidität.
Wir tun das in der Annahme, dass diese Faktoren wesentlich zur (Nicht-)Akzeptanz beitragen. Die Erhebung erfolgt inhaltlich sowohl quantitativ als auch qualitativ. Die Auswertung erfolgt unter Wahrung der Anonymität und die Ergebnisse werden u.a.
genutzt, um die Verfahren weiterzuentwickeln oder Kund*innen Hinweise bezüglich des Erlebens des Verfahrens seitens der Bewerbenden zu geben.
Der Feedbackbogen besteht aus sieben geschlossenen Fragen zu den Themen „Vorabinformationen“, „Verhalten des/der moderierenden dgp-Psycholog*in“ und „Verhalten des/der assistierenden Mitarbeiters*in (Rollenspieler*in)“. Die Fragen zur Vorabinformation beziehen sich darauf, ob die Einladung zum Verfahren rechtzeitig erfolgte (mit den Antwortoptionen „ja“ und „nein“) und ob zu Beginn des Verfahrens über Inhalt und Ablauf informiert wurde. Bei der zweiten Frage kann zwischen den Alternativen „ja, mit Einladung“, „ja, am Tag selbst“ und „nein“ gewählt werden. Die Fragen zu den moderierenden Psycholog*innen der dgp zielen stark auf den Umgang mit den Bewerbenden ab und erfragen, ob „sich klar und verständlich ausgedrückt wurde“ und ob „freundlich und einfühlsam mit mir umgegangen wurde“. Für die assistierenden Mitarbeiter*innen der dgp gibt es drei ähnlich lautende Fragen („… ging auf meine Fragen und Wünsche ein“; „… ging freundlich und einfühlsam mit mir um“ und „… sorgte für einen reibungslosen Ablauf des Auswahlverfahrens“).
Die Antworten auf diese Fragen werden auf einer 6-stufigen Skala angeben, wobei der
Skalenpunkt 6 die höchste und der Skalenpunkt 1 die niedrigste Zustimmung angibt. Neben den sieben geschlossenen Fragen gibt es noch drei offene Fragen für freitextliche Antworten. Die drei offenen Fragen lauten: „Folgendes war gut und sollte unbedingt beibehalten werden“, „Folgendes war nicht so gut und sollte möglichst geändert werden“ und „Sonstiges, Ideen, Anmerkungen“. Gerade unter den verschiedenen Akzeptanzaspekten sind die Antworten auf diese offenen Fragen von besonderem Interesse und werden daher im Folgenden genau betrachtet.
Außerdem bietet die dgp im Rahmen der Begleitung von strukturierten Auswahlverfahren den Teilnehmer*innen im Anschluss ein Feedbackgespräch an, in welchem eine verhaltensbasierte Rückmeldung von beobachteten Stärken und Schwächen und möglichen Entwicklungsfeldern erfolgt. Laut Görlich & Schuler und Schuler & Stehle (nach Nerdinger, Blickle & Schaper, 2014) bilden derartige Rückmeldungen nämlich einen wesentlichen Bestandteil der sozialen Validität – sprich der bewerber*innenseitigen Akzeptanz.
Wie steht es um die Akzeptanz eines von der dgp begleiteten Auswahlverfahrens?
Das Verfahren anhand eines Praxisberichts
Das Verfahren, an dem die erfolgreiche Umsetzung der Akzeptanzfaktoren Transparenz /
Informiertheit, gute Organisation, respektvolles Kontaktverhalten und realistische Aufgaben / Augenscheinvalidität exemplarisch näher untersucht wurde, soll hier näher beschrieben werden. Es handelt sich um ein Nachwuchs-Assessment-Center zur Auswahl dual Studierender für den Studiengang „Soziale Arbeit“. Seit acht Jahren findet das Verfahren regelmäßig statt. Bisher haben an über 200 Verfahrenstagen mehr als 900 Bewerbende teilgenommen.
Das Verfahren besteht aus drei Stationen, welche die Kandidat*innen vor einer Auswahlkommission durchlaufen.
Zu Beginn wird eine Gruppenaufgabe absolviert, in der ein gemeinsames Konzept zu einer realistischen, die soziale Arbeit innerhalb einer öffentlichen Verwaltung betreffenden Thematik, entwickelt werden soll. So wurden die Bewerbenden beispielsweise gebeten, sich einer sozialen Problematik auf einem innerstädtischen Platz zu widmen, auf dem es zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen immer wieder zu konfliktären Situationen kommt.
Im Anschluss daran ist eine 4-Augen-Gesprächssimulation (Rollenspiel) vorgesehen. Diese Gesprächssituation bildet ebenfalls einen Sachverhalt ab, der im Alltag eines/r künftigen Sozialarbeiter*in regelmäßig auftreten kann. Inhaltlich geht es hier in der Regel um ein Elterngespräch, entweder im Kontext der Schulsozialarbeit oder des Jugendamtes. Vor dem Gespräch erhalten die Bewerbenden eine Situationsbeschreibung und eine Einarbeitungszeit, in der sie sich auf das Gespräch vorbereiten können. Anschließend führen die Teilnehmerinnen das Gespräch vor der Kommission mit einer/m Gesprächspartner*in, der/die einer standardisierten Rolleninstruktion folgt.
Nach der Gesprächssimulation wird als dritte Station ein eignungsdiagnostisches Interview geführt, in dem es hauptsächlich um die Kriterien Motivation und soziale Kompetenz geht. Das Gespräch wird unter Anwendung eines Interviewleitfadens geführt, wobei alle Kommissionsmitglieder jeweils einen Teil der Fragen stellen.
Die Bewertung der Kandidat*innen erfolgt durch die Kommissionsmitglieder anhand einer definierten Einstufungsskala. Bewertet werden insgesamt sieben Anforderungsmerkmale. Diese werden über die drei Stationen zu einem Gesamtwert verrechnet, der wiederum zu einer Rangreihe der Bewerbenden führt und damit letztlich die Auswahlgrundlage darstellt. Um die Akzeptanz für das Verfahren festzustellen und Informationen für eine akzeptanzfördernde Weiterentwicklung zu erhalten, werden alle Teilnehmer*innen am Ende des Verfahrens gebeten, freiwillig den bereits vorgestellten Feedbackbogen auszufüllen.
Ergebnisse des Bewerbendenfeedbacks
Für diesen Beitrag wurden die Feedbackbögen aus den Jahren 2021 bis 2023 ausgewertet. In den drei Jahren haben insgesamt 251 Bewerbende die Möglichkeit des Feedbacks genutzt, und alle 251 haben die sieben geschlossenen Fragen beantwortet. Erstaunlich
ist die Vielzahl der freitextlichen Antworten auf die letzten drei Fragen. Hier haben insgesamt 206(!) Teilnehmer*innen Angaben bei der Frage „Folgendes war gut und sollte un- bedingt beibehalten werden“ gemacht, 53 Teilnehmer*innen haben die Frage „Folgendes war nicht so gut und sollte möglichst geändert werden“ beantwortet, und in dem Feld „Sonstiges, Ideen, Anmerkungen“ wurden noch 30 Antworten eingetragen. Da sich die Antworten auf diese letzte Frage aber häufig in den gleichen Kategorien bewegten wie die Antworten auf die ersten beiden Fragen oder aus einem freundlichen Dank für die Teilnahmemöglichkeit bestanden, wurde diese Frage nicht gesondert ausgewertet.
Akzeptanzfaktor: Transparenz / Informiertheit
Um eine möglichst hohe Transparenz herzustellen, empfiehlt die dgp, bereits mit der Einladung zu einem Auswahlverfahren so viele Informationen wie möglich mitzuteilen. In dem hier beschriebenen Verfahren erhalten die Bewerber*innen mit ihrer Einladung Informationen zu den sieben Bewertungskriterien und den drei Stationen des Verfahrens, darüber hinaus verschiedene Links zum Studium und dem Berufsbild „Sozialarbeiter*in im öffentlichen Dienst“, um sich auf das Vorstellungsgespräch vorbereiten zu können.
Am Verfahrenstag selbst erhalten die Teilnehmer*innen eine weitere Erläuterung zum genauen Ablauf, Hinweise zur Rolle der Kommission und die Erklärung, dass zwar realistische, praxisnahe Aufgabenstellungen vorgegeben werden, die Kommission aber keine Lösungen wie von ausgebildeten Sozialarbeiter*innen erwartet.
Entsprechend gut fallen die Antworten auf die Fragen im Feedbackbogen aus. 228 Bewerbende haben angegeben, bereits mit der Einladung über Inhalt und Ablauf des
Verfahrens informiert worden zu sein. Die übrigen 23 Bewerber*innen kreuzen an, am
Verfahrenstag selbst die Informationen erhalten zu haben.
In den freitextlichen Antworten wird dieser Aspekt weitere 23 Mal positiv erwähnt, beispielhaft seien hier zwei Aussagen zitiert:
→ „Inhalte des Verfahrens wurden mitgeteilt; man konnte sich darauf einstellen, was
kommt“
→ „ausführliche Einladung mit vielen Infos“
Vor dem Hintergrund der hohen Zustimmungswerte für die Vorabinformationen, der
weiteren positiven Erwähnungen bei der offenen Frage und keinerlei kritischer Rückmeldung zu diesem Aspekt kann davon ausgegangen werden, dass die Transparenz in diesem Verfahren sich förderlich auf die Akzeptanz auswirkt.
Akzeptanzfaktor: Gute Organisation
250 von 251 Personen bestätigen in dem Feedbackbogen, dass sie rechtzeitig über ihre Teilnahme an dem Auswahlverfahren informiert worden waren. Zusammen mit den oben beschriebenen Vorabinformationen, die man auch unter dem Aspekt der guten Organisation betrachten könnte, sind bereits einige Aspekte von guter Organisation im Vorfeld gegeben.
Eine gute Organisation sollte aber auch am Verfahrenstag selbst merkbar sein. Einen entscheidenden Beitrag dazu leistet der/die assistierende Mitarbeiter*in der dgp. Neben der Rolle in der Gesprächssimulation ist es seine/ ihre Aufgabe, die Bewerber*innen im Hintergrund zu betreuen und dafür zu sorgen, dass alle zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, Fragen zu beantworten und mögliche Verzögerungen im Ablauf zu kommunizieren und für eben diese gute Organisation zu sorgen.
Die Frage danach, ob die/der assistierende Mitarbeiter*in der dgp für einen reibungslosen Ablauf sorgt, wird über die 251 Antworten im Mittel mit 5,8 auf der sechsstufigen Skala beantwortet. Das ist ein klarer Beleg dafür, dass dieses Akzeptanzkriterium erfüllt ist. Darüber hinaus findet dieser Aspekt 29x positive Erwähnung in den offenen Antworten, was schon fast die Frage aufkommen lässt, welche Erfahrungen die Kandidat*innen an anderer Stelle mit Auswahlverfahren gemacht haben.
Hier sind zwei Beispielzitate:
→ „Man fühlte sich gut aufgehoben und wusste immer, was als nächstes passiert;
Fragen wurden gut beantwortet“
→ „Die genauen Informationen des Ablaufs des Bewerbungsverfahrens; Strukturierung und zeitliches Management“
Akzeptanzfaktor: Respektvolles Kontaktverhalten
Ein respektvoller Umgang mit Bewerbenden sollte in Auswahlverfahren eine Selbstverständlichkeit sein. Gerade bei der Auswahl von künftigen Sozialarbeiter*innen spielt dieser Aspekt eine besondere Rolle, weil die soziale Kompetenz – und damit auch das Kontaktverhalten – ein zentrales Anforderungsmerkmal für Sozialpädagog*innen darstellt. Deshalb sollte es in einem Auswahlverfahren für dieses Berufsbild auch von der Kommission gezeigt und gelebt werden, um die Akzeptanz des Verfahrens sicherzustellen.
Ob das gewünschte Kontaktverhalten auch in der intendierten Form bei den Teilnehmer*innen ankommt, wird in den beiden geschlossenen Fragen direkt erfasst. Die Bewertung fällt dabei sowohl für den/die das Auswahlverfahren moderierenden Psycholog*in als auch für die/den assistierenden Mitarbeiter*in der dgp exakt gleich positiv aus. Der Aussage „Der/die Psycholog*in (bzw. die/der assistierende Mitarbeiter*in) ging freundlich und einfühlsam mit mir um“ wird im Mittel mit 5,8 auf der sechsstufigen Skala zugestimmt.
Auf die offene Frage, was gut war und beibehalten werden sollte, gibt es insgesamt 96 Nennungen, die sich auf den Umgang mit den Bewerbenden beziehen. Dabei ist der Umgang und das Kontaktverhalten explizit auf die gesamte Kommission bezogen.
Exemplarisch hier zwei Aussagen:
→ „Sehr professioneller und dennoch freundlicher Umgang“
→ „Nette Umgehensweise; man hat sich wohl gefühlt; es wurde gut auf einen eingegangen“
Insgesamt fallen bei den Antworten immer wieder Stichworte wie „nett“, „freundlich“,
„sympathisch“, „empathisch“, „offener Umgang“ etc.. Dieses Ergebnis ist nicht nur unter Akzeptanzgesichtspunkten wichtig. Es spielt auch eine wichtige Rolle dabei, für welche Organisation sich Bewerbende im Falle einer Zusage entscheiden. Im azubi.report 2021 (ausbildung.de) wurde auf die Frage „Warum hast du dich für deinen Ausbildungsbetrieb entschieden?“ von über 40% der Antwortenden folgender Grund angegeben: „weil die Ansprechpartner im Bewerbungsgespräch sympathisch waren“. Damit wurde dieses Entscheidungskriterium am häufigsten genannt.
Akzeptanzfaktor: Realistische Aufgaben / Augenscheinvalidität
Die Auswahl und Konstruktion von diagnostisch wertvollen und realistischen Aufgaben ist bei jedem Assessment-Center eine Herausforderung. Mit Blick auf die Rolle, welche die Motivation bei der Entscheidung spielt, ist ein Interview sicherlich die Station der Wahl, auch wenn man diskutieren kann, ob ein Interview Bestandteil eines Assessment-Centers sein darf. Für ein Interview spricht allerdings auch, dass es als Auswahlinstrument von vorneherein eine hohe Akzeptanz erfährt, nicht zuletzt, weil es den Erwartungen von Bewerbenden an ein Auswahlverfahren entspricht.
Für die Gruppenaufgabe wird, wie oben beschrieben, bei der Themenwahl von vornherein auf den Punkt Realitätsnähe Wert gelegt. Es werden Inhalte für die Gruppenaufgabe ausgewählt, die aktuell in der öffentlichen Diskussion sind und bei denen innerhalb einer Verwaltung Sozialarbeiter*innen an einer konzeptionellen Bearbeitung und in der späteren Umsetzung auch tatsächlich beteiligt sind.
Die Ausgestaltung der Gesprächssimulation folgt einer ähnlichen Logik, wobei zwei Fragen zentral sind: Welche Gespräche führen Sozialarbeiter*innen im Jugendamt oder in der Schulsozialarbeit, und was kann Bewerbenden ohne Fachkenntnisse zugemutet werden, ohne dass sie in eine unfaire Überforderungssituation kommen? Gewählt wurde ein realistisches Setting (der Klassenlehrer berichtet über Verhaltensänderungen bei einem Schüler, die Eltern werden von der/dem Schulsozialarbeiter*in zu einem Erstgespräch eingeladen), allerdings werden keine fachlich richtigen Lösungen erwartet, sondern es soll sich ein Überblick über die Lebensumstände der Familie verschafft werden. Trotz dieser „Entschärfung“ bestand zu Anfang der Verfahrensreihe die Befürchtung, dass die Gesprächssimulation eine zu schwere Aufgabe für die Bewerber*innen darstellen könnte. Dies hat sich nicht bewahrheitet – im Gegenteil wird gerade das Rollenspiel in dem qualitativen Feedback von den Teilnehmer*innen häufig als positive Erfahrung benannt.
Eine positive Rückmeldung einer Teilnehmerin bringt die Erfahrungen mit dem Rollenspiel sehr gut auf den Punkt:
→ „Das Rollenspiel war nach anfänglicher Skepsis eine sehr interessante Erfahrung!“
Insgesamt gibt es zu den Stationen des Assessment-Centers 54 positive Nennungen, die
sich auf alle Aufgabentypen beziehen.
→ „Die Teilung des Verfahrens in drei Abschnitte, ganz besonders das Rollenspiel.“
Eine, wie in dem obigen Zitat, besondere Erwähnung des Rollenspiels findet dabei in 32 Fällen statt, d.h. mehr als die Hälfte derjenigen, die die Stationen positiv zurückgemeldet haben, benennen das Rollenspiel entweder exklusiv oder heben es hervor. Zu der Gesprächssimulation gibt es auch sechs Veränderungswünsche („…das war nicht so gut und sollte möglichst verändert werden“), allerdings wird bei vier von diesen Anmerkungen mehr Zeit für die Durchführung angeregt, was nicht gegen ein Rollenspiel spricht.
Die Realitätsnähe der Aufgabenstellungen ist aber auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt relevant, nämlich mit Blick auf die Augenscheinvalidität. Die Wichtigkeit der Augenscheinvalidität für die Akzeptanz wurde bereits oben beschrieben.
Festgemacht wird die Augenscheinvalidität von den Bewerbenden an der Auswahl und
den Inhalten der zu absolvierenden Stationen.
Dass auch in diesem Verfahren dieses Ziel erreicht wird, soll mit den letzten Zitaten verdeutlicht werden:
→ „Das Interview war gut und hat mir selbst nochmal einen Überblick über meine
Kompetenzen verschafft“
→ „Die Gesamtatmosphäre war entspannt; der Fragenkatalog erscheint sinnvoll in
Anbetracht der künftigen Aufgaben”
→ „Ich war insgesamt sehr zufrieden und finde es besonders toll, dass es einen
praxisbezogenen Teil gab”
→ „Rollenspiel und Gruppenaufgabe sehr spannend und gute Übung“
→ „Praxisnahe Tätigkeiten/Rollenspiele”
→ „Das Rollenspiel, da einem deutlich gemacht wird, wie vielfältig die Menschen
mit den man arbeitet sind”
→ „Gruppenaufgaben; Rollenspiel – sehr authentisch”
Fazit
Das hier gewählte und betrachtete Verfahren zeigt eindrucksvoll, dass aussagekräftige Verfahren und eine hohe Akzeptanz bei Bewerbenden kein Widerspruch sind. Die hier geschilderten Rückmeldungen zum Nachwuchs-Assessment-Center stellen dabei keine Ausnahme dar: Auch in der Gesamtbetrachtung unserer Verfahren zeichnet sich ein positives Feedback mit ähnlichen, teils identischen Inhalten auf die Freitextantworten ab. Die Grundsätze, an denen wir uns in der Begleitung von Personalauswahlverfahren orientieren und auf deren Basis wir Empfehlungen mit Blick auf z.B. Transparenz aussprechen, zeigen also Wirkung.
Gerade in Zeiten des Bewerbenden- und Fachkräftemangels, in der sich Organisationen eher bei den potenziellen Kandidat*innen „bewerben” als andersherum, ist es essenziell wichtig, gute Bewerber*innen nicht durch einen unprofessionellen Auswahlprozess zu verlieren.
Zu einem professionellen Auswahlprozess gehören:
- Eine frühzeitige und informative Einladung zum Verfahren
- Ein transparenter und gut organisierter Ablauf in einem angenehmen Umfeld
- Ein angemessener Umgang mit den Bewerbenden, der ein hohes Maß an Wertschätzung zum Ausdruck bringt
- Eine inhaltliche Ausgestaltung des Verfahrens mit realistischen, praxisnahen Aufgaben, die als anspruchsvoll, aber bewältigbar erlebt werden.
Künftig wird es verstärkt darauf ankommen, Verfahren mit hoher Akzeptanz durchzuführen, die aber gleichzeitig einen Austausch auf Augenhöhe ermöglichen. Auch die Bewerbenden sollten – unabhängig vom Ausgang – immer etwas Positives aus dem Auswahlverfahren mitnehmen können, sei es durch die inhaltliche Ausgestaltung der Verfahrensbestandteile oder das konstruktive und wertschätzende Feedback zu den gezeigten Leistungen am Ende des Verfahrens.
Das Literaturverzeichnis zum Beitrag finden Sie im aufgeführten Download-PDF.
Maximilian Dicker
Diplom-Psychologe
E-Mail: dicker@dgp.de
Maximilian Dicker ist Psychologe mit Masterabschluss bei der dgp. Er beschäftigt sich primär mit Assessment-Center-Verfahren für Fach- und Führungskräfte mit einem besonderen Schwerpunkt im Bereich der Berufsfeuerwehr.
Stephan Jerusel
Diplom-Psychologe
E-Mail: jerusel@dgp.de
Stephan Jerusel ist langjähriger Diplom-Psychologe bei der dgp. Nach Schwerpunktphasen in den Bereichen Personalentwicklung und Assessment-Center, beschäftigt er sich aktuell hauptsächlich mit eignungsdiagnostischen Fragen im Kontext der Nachwuchskräftegewinnung.